06. AUGUST 2020 - EIN SPIELTAG IN DER "VIRTUELLEN REALITÄT"


2023 – Ein Spielbericht
22.09.2023, 8:30 - Mein Handywecker kündigt mit sanften Tönen den neuen Tag an. Spieltag. Mit müden Augen schaue ich auf das Display meiner SmartWatch und schicke meiner Kaffeemaschine eine Nachricht, dass sie mir schon mal einen Espresso machen soll. Ein Blick auf die Wetter-App meines Handys zeigt mir, dass es gerade bewölkt ist und später regnen könnte. Heute geht es gegen einen Gegner aus dem Mittelfeld der Liga. Ein Pflichtsieg. Aber ich bin bei jedem Spiel dabei. Also ziehe ich mein Trikot an und binde mir meinen Schal um. Ich öffne die RBL-App, die mir wie gewohnt die nächste Bahnverbindung zum Stadion zeigt.
Auf dem Weg höre ich mir den Spieltags-Podcast über meine Kopfhörer an. Ein Interview mit dem neuesten Supertransfer. Einem Topstürmer. Für hundert Millionen oder so. Ein Wechsel nach Leipzig soll sein größter Wunsch gewesen sein, weil der Verein unglaublich besonders und wir Fans die besten der Welt seien. Ich bin begeistert. Mein Handy vibriert und es ertönt ein Piep Ton – Sportforum – hier muss ich aussteigen. Von der Bahnhaltestelle führt mich mein Mobiltelefon direkt zum Stadion.
Am Einlass bin ich wie gewohnt einer der Ersten. In der Schlange checke ich auf meinem Handy noch kurz die heutige Aufstellung. Vor der Einlasskontrolle halte ich meine SmartWatch gegen ein Lesegerät. Innerhalb kürzester Zeit schießt ein Datenstrom mit meinen persönlichen Informationen um die ganze Welt und das Lämpchen am Drehkreuz schaltet auf grün. Wortlos gehe ich an den Ordnern vorbei. Den Weg zu meinem Platz kenne ich bereits. Beim Ticketkauf konnte ich sofort meine Sicht mit der der anderen freien Plätze abgleichen und mir die Route in einem 3D-Modell anzeigen lassen. Mein Handy zeigt mir zudem den Laufweg zu meinem Sitzplatz – da kann nichts mehr schiefgehen.
Am Platz angelangt, stelle ich eine Neuerung fest – es gibt nun Handyhalterungen auf Augenhöhe. So muss ich mein Mobiltelefon während des Spiels nicht mehr selbst halten. Die Akkuanzeige leuchtet bereits gelb – schnell stöpsele ich das Ladekabel neben meinem Sitz ein. Da bis zum Spiel noch etwas Zeit bleibt, nehme ich mein Handy erneut in die Hand und öffne die RBL-App. Dort gibt es ein Minispiel. Es ist ein Quiz. Entgegen meiner Erwartung schaffe ich es tatsächlich, die Fragen schneller zu beantworten als die anderen Stadiongänger. Eine nette Dame kommt zu meinem Platz und überreicht mir meinen Preis. Einen Schlüsselanhänger aus dem RBL-Shop. Geil. Schnell mache ich ein Selfie mit meinem Preis und poste es online.
Plötzlich wird es dunkel im Stadion. Lichtkegel beginnen über die Ränge zu tanzen. Durch die aufgedrehten Boxen schallt die Hymne durch das weite Rund. Da fällt mir ein, dass ich noch gar keinen Tipp für das Spiel abgegeben habe. Erneut öffne ich die RBL-App und setze auf einen 3:0 Sieg. Dann geht es los. Der Schiri trällert in seine Pfeife und der Ball rollt. Kurzerhand bestelle ich mir noch eine Cola, die mir sofort an den Platz gebracht wird. Danach stelle ich mein Handy in die dafür vorgesehene Halterung am Vordersitz und öffne die Kamera-Funktion der RBL-App. Auf dem Display werden mir die Namen der Spieler, sowie Statistiken in Echtzeit angezeigt. Wie erwartet, dominieren wir auf dem Platz und rücken der Gastmannschaft immer mehr auf die Pelle – Forsberg hat eine erfolgreiche Passquote von 63 % und Upamecano hat bereits 90% aller Zweikämpfe gewonnen. In der 28. Minute fällt dann endlich das Tor – verdient, verrät mir die RBL-App. Wir hatten bereits vier Torchancen, die Gäste nur eine. Am rechten Bildschirmrand meines Smartphones regnen die jubelnden Chatkommentare anderer Stadiongänger ein, dazu werden Jubelemoticons geteilt. Sofort wird die Szene heiß diskutiert. Die Zeitlupe auf meinem Handy zeigt einen grandiosen Schuss aus zweiter Reihe direkt in den Winkel.
Zum Zeitvertreib nehme ich eine Einladung von maSTERNerd42 aus Sektor C zu einem virtuellen eins gegen eins im RBL-Quiz an. Nach zwei Spielen vergeht mir jedoch die Lust, außerdem fängt die Cola an zu drücken und ich bitte meine Sitznachbarin aufzustehen und mich zur Toilette durchzulassen. Auf der Treppe zeigt mir die RBL-App einen roten Punkt bei den Toiletten in meiner Nähe. „Verdammt“ flüstere ich vor mich hin, denn das bedeutet eine längere Wartezeit. Deshalb entschließe ich mich, zu einer der Digital Signature Säulen zu gehen. Mit ein paar Klicks auf dem Touchpad melde ich mich mit meinem RBL-Account an. Die Säule weiß sofort, was ich von ihr will, denn aufgrund meiner Daten hat sie sofort entschieden, dass ich mir das Tor noch einmal in Zeitlupe ansehen möchte. Wirklich ein Traumtor. Auf meinem Handydisplay erscheint ein grüner Punkt. Endlich. Also verlasse ich die Säule und begebe mich zur angewiesenen Örtlichkeit.
Den Rest der ersten Hälfte verbringe ich auf meinem Platz, doch sie verläuft recht unspektakulär. Der Toralarm auf meinem Mobiltelefon vibriert nicht und auch laut Statistik soll in den verbleibenden neun Minuten nichts mehr passieren. Ich bin bereits gespannt auf die Halbzeitunterhaltung. Wie erhofft, gibt es zu dieser eine beeindruckende Lichtershow zu einem der neuesten Hits aus den Charts. In der RBL-App werden auch wieder neue Minispiele freigeschaltet, doch dieses Mal schaffe ich es nicht, einen der Preise abzustauben.
Zu Beginn der zweiten Halbzeit fangen die grauen Wolken am Himmel an, ihren Regen auf das Spielfeld zu ergießen. Ich sitze zwar weitestgehend im Trockenen, doch laut Statistik soll sich die Wetterveränderung negativ auf das Spiel auswirken und heute zu 89 % kein Tor mehr fallen. Ich entschließe mich also, eines der neuesten digitalen Angebote der RBL-Arena auszuprobieren und erwerbe mir über die RBL-App schnell noch ein Ticket für die Virtual-Reality-Räume im Inneren des Stadions. Sofort zeigt mir mein Handy die schnellste Route und ich mache mich auf den Weg. Im Virtual-Reality-Raum angelangt, nehme ich in einem trockenen Sessel Platz. Neben mir steht eine Schale mit Popcorn und die Hospitalität setzt mir Kopfhörer und eine VR-Brille auf. Aus meinem bequemen Sessel kann ich, virtuell direkt von der Spielerbank aus, das ganze Geschehen betrachten. In dem beheizten Raum genieße ich die zweite Halbzeit. Mit weiteren Speisen und Getränken werde ich regelmäßig versorgt. Immerhin, denn das Ticket war alles andere als billig. Die Anlage simuliert eine echte Erfahrung auf der Spielerbank. Neben mir sitzt Julian Nagelsmann, der mich nach meiner Spieleinschätzung fragt. Über die RBL-App wähle ich Antwort B „Das Spiel begeistert mich“ aus.
In der 80. Minute vibriert das Handy in meiner Hand. Eine Push-Nachricht der RBL-App. Anscheinend machen sich bereits viele andere Nutzer auf den Weg nach Hause, denn sie zeigt ein erhöhtes Verkehrsaufkommen. Ich lege die Virtual-Reality-Brille ab und lasse mich von meinem Mobiltelefon auf schnellstem Wege aus dem Stadion führen. So erwische ich gerade noch eine halbwegs leere Bahn.
Leipzig, August 2020 – zurück in der Realität
Vor einigen Tagen erhielten alle Dauerkartenbesitzer eine Mail, in der dazu aufgerufen wurde, eine Umfrage zu beantworten, in welcher es um verschiedene neue digitale „Trends“ und deren möglichen Einsatz im Zentralstadion geht. Der obenstehende Stadionbericht zeigt, wie ein normaler Heimspieltag für uns Fans demnächst aussehen könnte, sollten diese „Trends“ tatsächlich umgesetzt und genutzt werden. Ein durch und durch auf das digitale Spektakel zugeschnittenes Event, bei dem sogar das Spiel an sich zur Nebensache degradiert wird. Diese Entwicklung ist gefährlich. VR-Raum statt Kurve, Handyspiel statt Fangesang, Smartphone vor den Augen statt Arme in der Luft. Das Stadion könnte zu meinem heimischen Wohnzimmer werden, aber wozu gehe ich dann noch ins Stadion? Ist das der Fußball der Zukunft? Stetig bekommt man das Gefühl, dass nicht nur dem Verein, sondern auch vielen anderen Fans das Gespür dafür fehlt, was ein wahres Stadionerlebnis ist.

Das Stadionerlebnis ist eine eigene Realität. Der beste Weg zum Stadion führt an den unzähligen Kneipen von Innenstadt und Waldstraßenviertel vorbei und das Stadion ist der Ort, an dem es für 90 Minuten und mehr an einem Tag am Wochenende nichts anderes gibt, als dich, die Leute um dich herum und das unbändige Verlangen, die Jungs unten auf dem Rasen voranzutreiben und siegen zu sehen. Der Ort, an dem sich Woche für Woche tausende Gleichgesinnte treffen, miteinander ins Gespräch kommen und gemeinsam etwas erschaffen, was keine virtuelle Realität je erschaffen könnte. Wozu in einen Bildschirm abtauchen, wenn sich so viele Erlebnisse echt und in Farbe direkt vor den eigenen Augen abspielen? – Im Zentralstadion – dem Ort, wo bei einem Fehlschuss ein Raunen durch das Publikum geht und deine Freunde neben dir stehen und nicht in einem Chatroom. Wo sie echte Namen tragen und beim Torschuss aufspringen, jubeln und dich umarmen. Wo die Zeitlupe keine Rolle spielt, weil das Gefühl, beim Tor im Stadion dabei zu sein, tausendmal besser ist, als jede Wiederholung vor einem Bildschirm. Wo aus tausenden Kehlen das gleiche Lied erklingt, gemeinsam gehüpft wird und die Emotionen über die Spannung in der Luft von Fan zu Fan und nicht über Jubelemoticons verbreitet werden. Wo zusammen Niederlagen verdaut und Siege gefeiert werden.
Das ist pure Lebensfreude in einer Realität, in der sich Träume ausleben lassen. Das ist alles, was es in diesem Moment zum glücklich sein braucht und den Alltagsstress vergessen lässt.


Die Realität im Stadion ist wunderbar und vollkommen. Sie kann durch „virtuelle Realität“ nicht optimiert werden, sondern geht verloren. Was dein Stadionerlebnis ist, liegt bei Dir. Mach es einzigartig und erlebe mit uns Gänsehautmomente.